Der Berliner Lustgarten : Gartenkunst und Stadtgestalt in Preußens Mitte (München 2005)

Der Berliner Lustgarten ist nicht nur die älteste noch vorhandene Grünanlage der Stadt mit einer entsprechend langen und verwickelten Gartengeschichte, sondern hat wegen seiner Lage auch eine zentrale Bedeutung in der allgemeinen Geschichte der Stadt. Die Fülle des Materials, das bei einer Darstellung seiner Geschichte berücksichtigt werden kann, ist kaum übersehbar. Die Schwierigkeit besteht in seiner Auswahl und Gewichtung. Der Kunsthistoriker Markus Jager hat sich in seiner Dissertation für eine sehr umfangreiche Darstellung entschieden, bei der es weniger um Details der Gartengestaltung als vielmehr um städtebauliche und politische Kontexte geht. Der Stoff ist chronologisch in elf große Kapitel von der kurfürstlichen bis zur Nachwendezeit gegliedert.

Im Kapitel über die kurfürstliche Zeit (16. und 17. Jahrhundert) wird aus der Sekundärliteratur referiert. Obwohl der Autor in den Fußnoten seiner Zitate die Aktensignaturen angibt, schreibt er in Wirklichkeit Transkriptionen älterer Autoren ab. So handelt es sich bei der angeblichen Abschrift der wichtigen Bestallungsurkunde des Hofgärtners Corbianus aus dem Jahre 1573 (S. 26) um die fehlerhafte Version, die Paul Seidel 1890 veröffentlicht hat. (Einen aktuellen Transkriptionsversuch findet man in Preußisch Grün, Berlin 2004, S. 42f.). Was die Geschichte der Pomeranzenhäuser betrifft, so gibt Jager vor, Geyers Vermutungen von 1936 zu widerlegen, ohne zu berücksichtigen, dass Geyer bereits widerlegt wurde (Wimmer in Geschichte und Pflege, Berlin 1991). Statt die Belege direkt aus den Akten von 1655 zu ziehen, verwendet Jager wiederum eine alte Transkription, die an entscheidender Stelle in die Irre führt. Eine Pflanzenliste aus dem Jahre 1656 schreibt Jager (S. 58) ebenfalls mit allen Fehlern von Seidel abschreibt und nicht aus der in seiner Fußbote als Quelle angeführten Akte (aktuelle Transkription in Schön und nützlich, Berlin 2004, S. 110). Die Pflanzensammlung des Großen Kurfürsten behandelnd, übersieht Jager die neuere Literatur über Elsholtz (Krausch, Heinz-Dieter: Die Pflanzen des Elsholtz-Florilegiums 1659/60. In: Feddes Repertorium 112 (2001), Nr. 7/8, S. 597-619).

Im Kapitel über Friedrich I. wird ebenfalls Sekundärliteratur referiert. Dezallier d’Argenville erhält ein „s“ am Ende seines Namens. Ausführlicher als bisher wird die Wasserbautechnik behandelt, wobei einige Akten wohl erstmals transkribiert wurden. Die laut Jager „bisher wenig bekannte Ansicht von Paul Decker d.J. (Abb. 55)“ wurde längst publiziert und kommentiert (Wimmer 1991, S. 114). Jagers Datierung auf nach 1706 ist nicht haltbar, da der Entwurf das von Schlüter vor 1706 ausgeführte Portal V noch nicht enthält. Der im Entwurf projektierte Schlossturm ist nicht zwangsläufig Ersatz für den 1706 eingestürzten Münzturm. Ganz am Ende dieses Kapitels S. 87 bildet Jager dann einen bisher in der Tat unbekannten Plan des Lustgartens von 1712 ab. Diesen immerhin sensationellen Fund analysiert und kommentiert er nicht. Der Plan beweist erstmals, dass das von Christian Eltester dargestellte hochbarocke Boskett, das Jager unpassend im Kapitel „Großer Kurfürst“ abbildet, ausgeführt war und das obere Parterre nicht wie auf Deckers Bild unter dem ersten König abgeräumt worden ist, ferner dass dieses sowie das Rasenparterre ganz anders aussahen als Christoph Pitzler 1695 in seiner flüchtigen Skizze angab. Weitere wichtige Aussagen wären möglich, wenn der Plan nicht zu klein und unscharf wiedergegeben wäre. Anhand dieses Fundes hätte Jager bisherige Vermutungen widerlegen und den Rekonstruktionsversuch von Wimmer 1991 verbessern können.

Unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. ist außer der Beseitigung des Lustgartens nichts kunsthistorisch Erwähnenswertes geschehen. Jager widmet dieser Zeit dennoch ein längeres Kapitel, indem er von Gebäuden in der Nähe spricht, so vom Dom.

Im nächsten Kapitel geht es um die bekannten, nicht realisierten Denkmalpläne von 1796/97, einen Festakt zum Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. 1798 (dieser wohl bisher noch nicht behandelt) und David Gillys Pappelpflanzung von 1798. Jager glaubt, „Pappeln“ hätten immer säulenförmigen Wuchs. Literatur zu diesem Thema wird nicht genannt (Herzog, Rainer: Pyramidenpappel oder Pyramideneiche? In: Garten Kunst Geschichte, Worms 1994, S.67-74; Wimmer: Kurze Geschichte der Säulenpappel. In: Zandera 16 (2001), S. 10-14). Weiter werden in diesem Kapitel die Aufstellung des Denkmals des Fürsten von Dessau, der Bau der Börse und das Napoleonische Feldlager behandelt.

Der Schinkelzeit ist breiter Raum gewidmet, ohne dass hier mit wesentlichem Neuem aufgewartet wird. Angemessen wäre es gewesen, hier auf die zeitgenössische internationale Diskussion um die Berechtigung geometrischer Gartengestaltung auf öffentlichen Plätzen im Gegensatz zum sonst üblichen landschaftlichen Stil einzugehen. Jager aber verweist lediglich darauf, dass Schinkel von den Pariser Barockgärten begeistert war.

Brisant ist der Vergleich der Lustgartenentwürfe Lennés vom Februar 1828 und Schinkels von Juli und Oktober 1828. Vage spricht Jager von Behauptungen in der Literatur, Schinkels Entwurf habe Anregungen von Lenné aufgenommen, um dies dann widerlegen zu können. Dass diese Annahme der von Jager nicht namentlich genannten Forscher (es handelt sich um einen unbedachten Halbsatz bei Günther/Harksen 1993, S. 123) nicht zutrifft, geht bereits aus früheren Darstellungen hervor (Wimmer in: Die Gartenkunst 1998, S. 283). Nach den Lustgartenentwürfen behandelt Jager zum Vergleich noch verschiedene konkurrierende Entwürfe für den Leipziger Platz von 1823/24. Wenn Jager behauptet, Lenné sei 1824 zum „königlichen Gartenbaudirektor“ ernannt worden, so übersieht er, dass es einen solchen Titel zu dieser Zeit überhaupt noch nicht gab und Lenné erst 1828 nach der Pensionierung seines Vorgängers den Titel „Gartendirektor“ erhielt.

Jager gelangt schließlich zu der kühnen Behauptung, Schinkel habe, indem er Baukörper der Stadtlandschaft wie Gehölzgruppen in einem Landschaftsgarten verteilte, in der Art eines Landschaftsarchitekten gearbeitet, während Lenné Bezüge außerhalb der Gartenanlage ignoriert habe. Eklatanter kann man zwei bedeutende Künstler kaum fehlinterpretieren. Im übrigen sind die Entwürfe Lennés und Schinkels zum Lustgarten keineswegs direkt vergleichbar. Denn bei den Entwürfen Lennés handelt es sich um zwei kleine Skizzen, die Lenné nebenbei aus privater Gefälligkeit lieferte, ohne exakte Plangrundlagen zu besitzen, während Schinkel in offiziellem Auftrag handelte und seinen Entwurf sorgfältig, in großem Maßstab und aufgrund bester Plangrundlagen ausarbeitete.

Hinsichtlich der Ausführung des Schinkelschen Entwurfs gelang es Jager, eine bislang nicht berücksichtigte Akte auszuwerten, die die Aufstellung von 15 Bänken im Jahre 1835 nachweist. Darüber hinaus hätte es sich angeboten, die feinen, bisher unveröffentlichten Detailpläne aus Schinkels Büro abzubilden, die Pflasterung, Wassertechnik, Ufermauer und Einfriedungen des Schinkelschen Lustgartens betreffen. Diese Chance nutzte Jager nicht.

Die Kapitel über die Zeit Friedrich Wilhelms IV., Wilhelms I. und Wilhelms II. haben weitgehend referierenden Charakter. Eine wesentliche Änderung unter Friedrich Wilhelm IV., daß nämlich die Ausrichtung des von Schinkel angelegten Weges auf Portal V des Schlosses aufgegeben wurde (Wimmer 1998, S. 287), wird bezweifelt, obwohl sie durch zwei Ansichten und mehrere Grundrisse belegt ist (S. 175). Im übrigen ist diese Periode durch die Dombauprojekte und die Aufstellung des Reiterdenkmals in der Mitte des Lustgartens bestimmt, dem weitere Denkmäler hinzugesellt werden sollten.

Aus der letzten Phase der Kaiserzeit entdeckte Jager eine Initiative der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft zur Umgestaltung des Lustgartens von 1913. Er rekonstruiert den zugehörigen, nicht erhaltenen Entwurf von Albert Brodersen (S. 219). Umgesetzt wurde der Entwurf nicht. Dennoch stellt Jager die These auf, 1913 habe eine Neubepflanzung stattgefunden, die auf diesen Plan zurückzuführen sei (S. 223). Nachvollziehbare Beweise liefert er weder für die Neubepflanzung noch für ihren Bezug auf besagten Entwurf.

Aus den zwanziger Jahren behandelt Jager die Kundgebungen im Lustgarten und auch die Umgestaltung des in der Nähe liegenden Opernplatzes. Er bespricht zwei bisher in der Geschichtsschreibung des Lustgartens vernachlässigte, allerdings ebenfalls nicht ausgeführte Entwürfe, einen von Erwin Barth 1927, und einen von Josef Tiedemann zur Umgestaltung des Lustgartens zum Reichsehrenmal 1930.

Die Entwicklung des Lustgartens im Nationalsozialismus wird ausführlicher erörtert als bisher. Dabei arbeitet der Autor durch Vergleiche heraus, dass der ausgeführte Entwurf von Conrad Dammeier von 1935 als Versuch gewertet werden sollte, angesichts der Vorgaben hinsichtlich des Kundgebungsplatzes möglichst viel von seiner alten Qualität als Lustgarten zu erhalten (S. 269).

Die Planungsgeschichte während der DDR-Zeit wird erstmals genauer dargestellt. Im Hin und Her der widerstreitenden Lösungsansätze wird die Ratlosigkeit deutlich, die angesichts der komplexen Vergangenheit des Lustgartens herrschte. Jager fand auch die kuriose Denkmalerklärung von 1983, mit der die Gestaltung von Dammeier als ein Werk von Lenné und Schinkel unter Schutz gestellt wurde.

Besonders heikel ist die Darstellung der Jahre seit 1989. Die kontroversen Ereignisse und Planungen werden mit voller Nennung der Namen der Beteiligten dargestellt, wie es der Tagespresse zukommt, in einer kunsthistorischen Würdigung aber eher ungewöhnlich anmutet. Querelen in der Verwaltung, Akte sinnloser Geldverschwendung und menschliche Unzulänglichkeiten werden ausgebreitet. Nicht verständlich ist, warum Jager von einem von der Denkmalpflege bezahlten Gutachten über den Umgang mit der Anlage erwartet, dass es den bestehenden Denkmalstatus in Frage stellt (S. 313). Überhaupt werden denkmalrechtliche Aspekte nicht behandelt. Dass die Denkmalpflege 1998 nach der gegen ihren Willen durchgeführten Abräumung der Dammeierschen Anlage den Denkmalstatus des Lustgartens aufhob, ist Jager keiner Erwähnung wert.

Ebenso verwundert, wenn er die Aussage eines Gutachtens, es gäbe „keine Unterlagen von Schinkel“ als Tatsache hinnimmt (S. 329). Wenn er überdies „bestehende Unklarheiten über die Ausstattungsdetails des Schinkelschen Lustgartens“ (ebd.) behauptet, nährt dies die Vermutung, dass er die ungewöhnlich detailreichen Bauakten Schinkels zum Lustgarten im Geheimen Staatsarchiv nie in der Hand gehabt hat.

Jagers Stellung zu der 1999 via Behördenwillkür umgesetzten Planung erscheint nicht eindeutig. Während er sich einerseits wiederholt gegen das „gefällige Neuarrangement von Versatzstücken der Vergangenheit“ (S. 327) ausspricht, erkennt er andererseits in den innerhalb der politischen Vorgabe geschaffenen eigenständigen Aspekten des ausgeführten Entwurfes von Hans Loidl eine „Ebenbürtigkeit“ mit Schinkel (S. 333). Die im Buch abschließend gehäuft ausgebreiteten Farbfotos des Loidlschen Lustgartens im Sommersonnenschein und bei abendlicher Beleuchtung erinnern an eine Werbebroschüre und suggerieren ein positives Finale, das so gar nicht der Problematik des Themas entspricht. Als zaghaftes Fragezeichen fügt Jager noch eine Würdigung des Herbert-Baum-Gedenksteins von 1983 an, der die Neugestaltung überstanden hat.

Die Vorzüge des Buchs bestehen darin, dass es weit auseinander liegendes Quellenmaterial kompiliert und die sich stark wandelnde Symbolqualität des Lustgartens durchspielt. Es wird deutlich, wie die Gestaltung dieses Ortes über 400 Jahre die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Verhältnisse spiegelte. Dies mag für mancherlei Zwecke genügen. Wer indessen wie der Rezensent Gelegenheit hatte, sich über Jahrzehnte intensiver mit dem Lustgarten zu befassen, wird leider den Eindruck einer noch nicht ausgereiften Materialsammlung nicht los. Insbesondere stört die Hilflosigkeit des Autors im Umgang mit gartenhistorischen Quellen.

Clemens Alexander Wimmer

Jager, Markus: Der Berliner Lustgarten : Gartenkunst und Stadtgestalt in Preußens Mitte. München : Deutscher Kunstverlag, 2005. – 365 S. : Ill. – 88 Euro