Conan, Michel: Essais de poetique des jardins (Firenze 2004)

Dieser Band enthält 17 Vorträge und Aufsätze des französischen Gartenhistorikers Conan, der zur Zeit in den USA wirkt, aus den Jahren 1976-2003. Die meisten wurden schon früher veröffentlicht. Es geht um eine Zeitspanne vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine chronologische Anordnung der Texte war nicht möglich, da viele mehrere Perioden betreffen. Der Autor gruppiert die unterschiedlichen Themenstellungen unter vier Überschriften, „Die poetische Textur der Gärten“, „Der Gartenentwurf“, „Das Leben im Garten“ und „Gärten als Schmelztiegel der Kultur“. Wie von diesem Autor gewohnt, gehen seine Betrachtungen nicht von der Kunstgeschichte, sondern von der Soziologie aus. Ihn interessiert weniger die Form als die Bedeutung und Nutzung eines Gartens oder Gartenelements, dessen Ausdruck die Form nur ist.

Näher eingegangen sei auf die 28seitige Einleitung, die als einziges für dieses Buch neu geschrieben wurde und welche jene stringente Überzeugungskraft besitzt, die der Ansammlung der nachfolgenden Texte als Ganzes fehlt. Conan legt hierin dar, was er heute zu sagen hat und ordnet dem Paraphrasen seiner früheren Beiträge in aktueller Sichtweise zu. Die Gliederung der Einleitung entspricht der der Anthologie.

Im ersten Teil betont Conan die unterschiedliche Gartenwahrnehmung durch die Gesellschaftsklassen. Jede Klasse sieht mit ihren eigenen Augen und hat kein Verständnis für die Ästhetik einer anderen Klasse. Conans Ausdruck „poetique“ hat nichts mit Poesie zu tun. Unter der poetischen Textur eines Gartens versteht er den spezifischen Sinngehalt, den eine bestimmte soziale Gruppe einem Garten bei seiner Anlage bzw. durch seine Nutzung gegeben hat. Dabei ist alles möglich: „Gärten zählen weder zur Welt der natürlichen Dinge noch zur Welt der Texte oder anderen Zeichensysteme. Gärten rufen in ihrer Gesamtheit keine präzisen Bedeutungen hervor. Sie regen an, sie stimulieren die Produktion der Sinne bei jedem, der sich auf dieses Abenteuer einlässt. Diese Produktion wird nicht geleitet noch der Phantasie des Besuchers und des Augenblicks überlassen. Sie bestimmt das Thema in einem Bereich gefühlsmäßigen Naturbezugs, ohne ihm eine andere Tätigkeit abzuverlangen als sich niederzulassen, selbst ohne dort der Reflektion über eine Bedeutung der Gärten nachzugeben.“ (S. XI) In einem schon 1983 geschriebenen Generalabriss der Gartengeschichte erläutert Conan den Wandel der poetischen Textur des Gartens vom Mittelalter bis zum Rokoko.

Zum zweiten Thema, den Entwurf betreffend, untersucht Conan unterschiedliche Konstellationen von Gartenurhebern. Es genügt ihm nicht, wenn Gartenhistoriker einen Entwurf nur dem jeweiligen Gartenkünstler zuschreiben. Er nennt drei Beispiele. So ist bei der gewerblichen Nutzgartenkultur von Amiens ein Kollektiv sozial ähnlicher Individuen als Verfasser anzusehen. Bei der Betrachtung der Konzeption des Heidelberger Schlossgartens sei der Kurfürst mit seinen Rosenkreuzer-Ambitionen ebenso einzubeziehen wie sein Künstler Salomon de Caus. Im Gartenbuch von André Mollet schlage sich nicht nur dessen unbezweifelte künstlerische Begabung, sondern auch seine vielseitige handwerkliche Ausbildung nieder. In seinem eigentlichen Mollet-Beitrag von 1981, der nach dem Einscannen leider unzureichend korrigiert wurde, belegt Conan den Wandel des gärtnerischen Berufsbildes im Frankreich des 16. Jahrhunderts, als die künstlerische Leistung, bislang vom Bauherrn selbst erbracht, mit in die Hände des Gärtners gelegt wurde.

Das Labyrinth von Versailles, so fährt Conan in der Einleitung fort, sei wohl ebenfalls von einem Kollektiv entworfen, an dem neben Le Nostre Lebrun und La Fontaine teilhatten. Im Beitrag selbst geht es vorrangig um eine verborgene Lesart des Labyrinths, die der in dem zeitgenössischen Labyrinthführer dargelegten nicht entspricht. Im Vergleich mit den damals beliebten „moralischen Landkarten“ schlägt Conan vor, das Labyrinth als „Karte der Ehrenhaftigkeit“ zu lesen. In dieser gibt es sieben Regionen moralischer Eigenschaften, denen jeweils ein Brunnen entspricht. Das Labyrinth diente nachweislich der Erziehung des Dauphins. Die Wegeführung erlaubt richtige und falsche Entscheidungen. Leider sind Conans eigenhändige Abbildungen teilweise schwer lesbar bzw. unvollständig (Abb. 7.17).

Am Beispiel des Freilichtmuseums Skansen in Stockholm aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, das landestypische Gebäude und Landschaftsausschnitte enthält, zeigt Conan, wie die Repräsentation der nationalen Gesellschaft der Sinn eines Parks sein kann.

Im Park von Isle d’Abeau von Bernard Lassus (1976) schließlich reagiert dieser laut Conan auf die unterschiedlichen Sichtweisen von Stadtplanern und Bewohnern einer Trabantenstadt, indem er die verlorene Natur thematisiert. Über den Entwurf selbst erfährt man leider, auch in dem betreffenden Beitrag, wenig.

Die Nutzung eines Gartens, meint Conan im dritten Teil, ist die erste Form seiner Rezeption. (Er lässt die Ausführung der Baumaßnahme aus, die oft von den Intentionen der Entwerfer abweicht) Die Nutzer müssen nicht das in den Gärten machen, was den Urhebern vorschwebte, sie können etwas ganz anderes darin anfangen. „Gärten sind suggestiv: Sie laden zu besonderen Riten der Interaktion ein, an denen sich ein Teil des Publikums mit Wärme beteiligt, während andere Teile des Publikums sie ignorieren und wieder andere sich darüber ärgern.“ (S. XX)

Conan versucht anhand von französischen Barockromanen nachzuweisen, dass schon im 17. Jahrhundert die reale Gartennutzung durchaus nicht immer diejenige war, die aus den Lehrbüchern eines Boyceau oder Dézallier zu vermuten wäre. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf sentimentale Abenteuer, Diebstähle, Bootspartien und Fröschefangen, die den Romanen zufolge auf privaten Landsitzen eine Rolle spielten.

In einem anderen Aufsatz behandelt Conan die Nutzung öffentlicher Gärten im Paris des 17. Jahrhunderts für das Sehen und Gesehenwerden. Nicht die kunstreiche Inszenierung der Natur, nicht die klassische Ikonographie interessierten, sondern allein das gesellschaftliche Schauspiel. Weiter wird gezeigt, dass im 19. Jahrhundert menschliche Beziehungen, insbesondere die Liebe zwischen Mann und Frau, dazu führten, dass die Nutzer öffentlicher Gärten keinerlei Blick für die Gärten hatten, für ihre Gestaltung, ihre Details und ihre Blumen, geschweige denn für die Aussagen ihrer pädagogisch wertvollen Statuen und Denkmäler, obwohl die Gärten notwendige Bühnen für ihr mondänes Spiel waren. „Weder die Intentionen der Urheber noch die Bedeutungsgehalte erlauben, die Nutzung der Gärten vorauszusehen. Man muss daher beim Entwurf auf jede Vorherbestimmung des Verhaltens verzichten. (…) Es ist vielmehr nach den Bedingungen zu fragen, unter welchen eine bestimmte Wahrnehmung bei den Nutzern eines Gartentyps in einer Epoche auftritt (…) oder welche Beziehungen zwischen der Materialität des Gartens und der Erfahrung seiner Nutzer ein spezielles Gartenverhalten ermöglichen.“ (S. XXI)

Am Schluss dieses Abschnitts vergleicht Conan an fünf Beispielen, wie der Garten während des Aufenthalts und der Bewegung eines Nutzers darin auf diesen Einfluss nimmt und wie umgekehrt die Anwesenheit des Nutzers die Geschichte des Gartens beeinflusst. Auf dem Wege der Metaphorik (Übertragung) kann es dem Planer gelingen, die Gartenbesucher zu einer Interpretation zu veranlassen, die den eigentlichen Sinn ihres Aufenthalts im Garten ersetzt oder verwandelt. Als Beispiele werden die Villa d’Este (Tivoli), ein Kalvarienberg und das Labyrinth von Versailles genannt. In jeder dieser Anlagen wird eine Geschichte erzählt. Der Garten des Bergmanns Charles Pecqueur, den Lassus 1971 entdeckt hatte, dient mit seinen naiven Schneewittchenbildern als weiteres Beispiel für Metaphorik im Garten.

Der vierte Abschnitt betrifft die Rolle der Gärten für die kulturelle Entwicklung. Am Beispiel des Tuileriengartens und des St.-James-Parks in London zeigt Conan, welche im Vergleich zum übrigen Stadtgebiet außerordentliche, weniger reglementierte Aktivitäten hier stattfinden konnten, seit die jeweiligen Könige diese Gärten dem Publikum geöffnet hatten. Anhand von Schriften von La Fontaine, Mademoiselle de Scudéry, Madame de la Fayette und René Rapin zeigt Conan, wie Literatur imstande sein konnte, der Gartenwahrnehmung der feinen Welt eine neue Ebene hinzuzufügen. Entsprechendes, so Conan, müsste auch heute möglich sein, wenn es um die Vermittlung ökologischer Werte durch die Gartenkunst geht. „Die Gärten erscheinen daher als Quellen tiefgehender Kulturveränderung, in den Maße, wie ihre Anlage ein Gartenverhalten hervorruft, das in Resonanz mit Praktiken des Diskurses oder der Kommunikation tritt.“ (S. XXVI)

Die englischen Landschaftsgärten des 18. Jahrhunderts stehen für „Politisierung der Natur und Naturalisierung der Politik.“ Die bekannte politische und moralische Wirkung dieser Gärten ging nicht allein von ihrer Gestaltung aus, sondern entstand erst im Kontext politischer und ästhetischer Debatten, landwirtschaftlicher Renditestrategien und gedruckter Gartenbeschreibungen für das Publikum. André und Gabriel Thouins Konzept eines Akklimatisationsgartens für tropische Pflanzen wird als Projekt der politischen Ökonomie vorgestellt. Erfahrungen in Gärten können demnach zur Entwicklung des Konsums, der öffentlichen Meinung und Moral sowie der politischen Ökonomie beitragen.

Conan möchte das Gefühl dafür wecken, dass Gartengeschichte jenseits reiner Formen- und Ikonographiegeschichte die Kulturgeschichte selbst erklären kann und dass umgekehrt kulturelle Entwicklungen eher als einzelne Biographien die Entstehung der Gärten erklären. Von dieser Erkenntnis sollte auch ein Impuls ausgehen, die gegenwärtigen Kultur mit Hilfe der Gärten zu verändern, meint Conan.

Wer seinen abstrakten Gedankengängen folgen möchte, findet in diesem anspruchsvollen und geistreichen Buch des für manche provokanten Gartenhistorikers viel Vergnügen und Erkenntnisgewinn. Bedauerlich ist nur, dass es aufgrund seiner Sprache wenig Resonanz in Deutschland finden dürfte. Dies liegt aber nicht an dem Buch, sondern am Publikum.

Clemens Alexander Wimmer

Conan, Michel: Essais de poetique des jardins. Firenze : Leo S. Olschki, 2004. - XXVIII, 426 S. : ill. + 16 Tf. – ISBN 88 222 5358 2. – 59 Euro