Lauterbach, Christiane: Gärten der Musen und Grazien : Mensch und Natur im niederländischen Humanistengarten 1522-1655 (München 2004)

Die Erforschung der Gartenkunst der Renaissance ist zumindest in Deutschland noch nicht weit fortgeschritten. Ein Grund dafür liegt in der schweren Zugänglichkeit der Quellen. Noch schwieriger als bei inländischen Quellen ist die Verfügbarkeit ausländischer Quellen. Entsprechende große Hürden waren bei dem von Christiane Lauterbach für ihre Dissertation gewählten Thema zu überwinden.

Inhalt. Die Autorin legte ihrer Arbeit ausschließlich in den Niederlanden erschienene Quellentexte zugrunde, die teils auf Niederländisch, teils auf Latein verfasst sind. Untersucht wird nicht die Gestalt und Entwicklung des niederländischen Renaissancegartens, sondern seine theoretische Begründung in seiner Zeit. Lauterbach suchte daher in den Textquellen nicht vorrangig nach Gestaltungsgrundsätzen oder Arbeitsanleitungen, sondern nach ideellen Begründungen des Gartens. So erhalten Vorworte, Huldigungsgedichte und vermeintlich rhetorische Floskeln einen zentralen Stellenwert. Als Quellentexte verwendet wurden einerseits die bekannten Texte aus dem Convivium Religiosum des Erasmus (1522) und aus dem De Constantia von Justus Lipsius (1584) nebst anderen Texten dieses Autors. Andererseits  wurden weniger bekannte, in der Tradition der ersteren stehende Werke ausgegraben, so von Caspar Barlaeus, Johannes Brosterhuysen, Jacob Cats, Janus Dousa, Petrus Hondius, Jan Baptist Houwaert, Constantijn Huygens, Florens Schoonhoven und Hendrik Laurensz. Spiegel. Längere neulateinische und niederländische Zitate werden in der Originalsprache und in Übersetzung, kürzere nur in der Originalsprache wiedergegeben. Im Vordergrund der gefundenen theoretischen Aussagen stehen moralphilosophische Aspekte. Dabei geht die Autorin vorrangig dem Einfluss neostoischen Gedankengutes nach. Nach Gerhard Oestreich und anderen gilt der Neostoizismus von 1550 bis 1660 in Frankreich und den Niederlanden als die Weltanschauung der Gebildeten prägend, bevor der um 1660 durch den Cartesianismus ersetzt wurde. Die Beherrschung der Affekte wurde als erstrebenswert und naturgemäß angesehen, ebenso der geometrisch geordnete Garten. Das Landleben und nach Seneca besonders auch das Gartenleben gewährleisteten eine moralisch einwandfreie Existenz fernab von Stadt und Hof. Unterlegt mit christlicher Interpretation, sei das Land- und Gartenleben auch gottgefällig, da es den Absichten des Schöpfers entspricht und das Lesen in dem von ihm geschaffenen Buch der Natur ermöglicht. Die Ordnung des Gartens ist Sinnbild für die Ordnung der menschlichen Affekte. Seit Erasmus dient diese Argumentation auch der Rechtfertigung des Wohlstandes, wie er sich im Besitz von Lustgärten ausdrückt. Voraussetzung für die Exkulpation ist nach Erasmus, dass die Lust geistig ist. Derselbe Garten kann, ohne seine Gestalt zu ändern, zu löblichen oder verwerflichen Zwecken dienen, da es allein auf die Einstellung des Nutzers ankommt (S. 117). Später werde auch sinnliche Lust erlaubt, sofern sie mäßig bleibt. Dies führt die Autorin (etwas halbherzig) auf den Einfluss des Augustinus zurück, welchem sie bei Calvin und Lipsius begegnete (S. 245). Im Gegensatz zu der erlaubten Gartenlust standen für die Renaissanceautoren der mittelalterliche Garten als Sinnbild fleischlicher Lust wie auch der hedonistische Lustgarten im Sinne Epikurs.

Die Autorin betont, dass der Renaissancegarten „mehr als grüne Architektur“ ist (S. 112), vielmehr erst als Bedeutungsträger seine Existenzgrundlage erhält. Seine zeitgenössische Sicht unterscheidet sich grundlegend vom Natur- und Gartenverständnis der Aufklärung. Der geometrische Garten der Renaissance war keine „vergewaltigte“ Natur, sondern eine idealisierte Natur, die den Plänen des Schöpfers entsprach (S. 222). Lauterbach weist nebenbei nach, dass diese Gartenideologie in den Niederlanden keine typisch bürgerliche war, sondern auch vom Adel und am Oranierhof aufgenommen wurde.

Anhand der ausgewerteten Texte versucht die Autorin, eine Entwicklung der Gartentheorie nachzuvollziehen. Hiervon seien einige Aspekte beispielhaft herausgestellt. Nach Erasmus muss der Garten, der vor allem Nutzgarten ohne Luxus ist, von Gott sprechen. Der kontemplative Aufenthalt darin ist gottgefällig. Auge, Nase, Gemüt (animus) werden angesprochen. Es ist jedoch keine Wollust, sondern nur eine honesta voluptas erlaubt, welche zur christlichen Belehrung des Geistes führe. Die Maßhaltung im Genuss rechtfertigt den Besitz des Gartens. Lipsius beziehe den Begriff der erlaubten honesta voluptas erstmals ausdrücklich auf den Lustgarten (S. 110). Der Nutzer folge im Lustgarten seiner Natur im Sinne der Stoiker. Die im Lustgarten deutlich sichtbare menschliche Kunstfertigkeit verweist aber wiederum auf das göttliche Ordnungsprinzip. Nach Spiegel soll der Lustgarten zwar keine Exoten enthalten. er darf aber allen fünf Sinnen rustighe lust bereiten. Nach Cats schiebe sich das Lesen im Buch der Natur als Emblem der Schöpfung vor die philosophische Erkenntnis. Huygens lese erstmals mit empirisch-forschendem Blick im Buch der Natur und erlaube auch maßlose Freuden. Seit Rapin spräche der Garten nur noch von dem Entwurf durch den Menschen, Moral und Natur spielten keine Rolle mehr,

Während im ersten Teil die Textquellen ausgewertet werden, sind im zweiten Teil die Ergebnisse systematisch zusammengestellt. Hier wird die Naturauffassung der Renaissance rekonstruiert, und die Anteile von Kunst und Natur, Lust und Vernunft, Gott und Welt in der Gartentheorie werden ausgelotet.

Der Text ist mit Reproduktionen von 34 Stichen illustriert. Ärgerlich ist der Ausfall mehrerer Textzeilen auf S. 91.

Kritik. Die Hauptthese der Arbeit, dass die niederländischen Humanistengärten sich in die Tradition der antiken Stoa stellten, ist nicht von der Hand zu weisen. Sie wurde allerdings bereits 1987 von Mark Morford aufgestellt. Lauterbachs Verdienst ist es, den Einfluss der dezidiert stoischen Philosophie von Lipsius auf seine niederländischen Nachfolger darzulegen. Hieraus sollten allerdings keine verallgemeinernden Schlüsse gezogen werden. Obwohl die Niederlande in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Oestreich zweifellos „das militärisch, wirtschaftlich und geistig führende Land des Kontinents“ waren, dürfte, auf Europa bezogen, der Einfluss der Theologie auf die Gartentheorie der Renaissance größer gewesen sein als es nach Lektüre der niederländischen Autoren erscheint. Die Wirkung der Gartentheorie von Lipsius dürfte außerhalb der Niederlande gering gewesen sein. Erinnert sei nur an Bernard Palissys theologischen Erbauungsgarten (1563) und an die theologische Rechtfertigung des Lustgartens durch Johann Peschel (1597). Lauterbach weist zwar auf einige Übereinstimmungen der neostoischen Gartentheorie mit der kalvinistischen Glaubenslehre hin, ohne allerdings eine eindeutige Zuordnung jener zum protestantischen Lager vornehmen zu wollen. Das anteilige Verhältnis der Einflüsse auf die Gartentheorie von neoklassischer Philosophie auf der einen und christlicher Theologie auf der anderen Seite bedarf eingehenderer Untersuchung, die nicht auf die Niederlande beschränkt bleiben sollte. Lauterbachs These, der „Humanistengarten“ sei als ein überkonfessioneller Garten vornehmlich durch Kalvinisten konzipiert worden (S. 139), könnte allenfalls verifiziert werden, wenn die Positionen der katholischen Gartentheoretiker in Spanien, Italien, Frankreich und Süddeutschland untersucht worden wären.

Durch die Beschränkung des Quellenmaterials auf niederländische Texte gelingt Lauterbach die Wertung der gefundenen Aussagen in ihrer genetischen Entwicklung und im europäischen Kontext nicht immer. Bei der Vertiefung in feine graduelle Unterschiede in den Aussagen der niederländischen Autoren geht der Blick auf die Gesamtentwicklung leicht verloren.

So scheint es, die „christliche Sicht der schönen Gartennatur“ sei eine Errungenschaft, welche im 17. Jahrhundert die neostoische ablöst (S. 247). Tatsächlich ist sie mit der christlichen Natursicht von Anfang an vorhanden gewesen. Der Humanismus ermöglicht erstmals eine nicht nur sinnliche, sondern auch eine geistige Rezeption des Gartens, die über die abstrakte Bedeutung des Hortus conclusus als Mariensymbol hinausging. Das Erkenntnisziel war dabei am Anfang ein ausschließlich christliches (Erasmus, Palissy). Erst allmählich treten weltliche Erkenntnisse in den Vordergrund (Estienne, Lipsius, Peschel, de Serres, Boyceau).

Mag die Akzeptanz des Sinnlichen auch scheinbar von Erasmus bis Spiegel von kontinuierlich wachsender Bedeutung sein (S. 146), so ist doch im Gegenteil während des 16. und 17. Jahrhunderts allgemein ein Zunehmen der geistigen Gartenrezeption gegenüber der älteren sinnlichen zu verzeichnen. Diese Vergeistigung und dann Verweltlichung des Gartenerlebens durch den Einfluss der Stoa zu erklären, wäre ein interessantes Unterfangen. Dass das Lesen im „Buch der Natur“ als wichtiger als das Lesen in der Bibel und der Gottesdienstbesuch gegolten habe (S. 172, 266) darf aber wohl für keinen Moment des 16. und 17. Jahrhunderts ernsthaft angenommen werden.

Weitere Folgen der eingeschränkten Quellenauswahl: Die von Lipsius vorgetragene Geschichte der Gartenkultur schließlich ist keineswegs so originell, wie sie dargestellt wird (S. 102f.), sondern spätestens seit Johann Domitzer (1529) Standard.

Das Verhältnis der Theorie des Renaissancegartens zu der des Barockgartens, in welchem die Natur von der menschlichen Vernunft bewusst manipuliert wird, ist zwar treffend charakterisiert, in der zeitlichen Einordnung jedoch ebenfalls zu modifizieren. Die „barocke,“ von der raison gesteuerte Gartentheorie deutet sich nicht erst bei René Rapin (1665), sondern bereits bei Olivier de Serres (1600) und Jacques Boyceau (1638) an.

Zusammenfassung. Die Erschließung der schwer zugänglichen und so gut wie unbekannten Quellen verdient Lob. Ansatz und Vorgehensweise der Arbeit machen sie zu einer vorbildlichen Dissertation. Für ein Buchprojekt hätte man sich allerdings einen breiteren Blickwinkel gewünscht. Für die Theorie des Renaissancegartens hätte dies die Aufnahme eines weiteren Quellenspektrums aus ganz Europa und den Verzicht auf manche weniger wichtige niederländische Quelle bedeutet. Die Ergebnisse wären dann sicherer und allgemeingültiger ausgefallen.

Clemens Alexander Wimmer

Lauterbach, Christiane: Gärten der Musen und Grazien : Mensch und Natur im niederländischen Humanistengarten 1522-1655. München : Dt. Kunstverlag, 2004. – 327 S. : Ill.