Conan, Michel (ed.): Performance and Appropriation : Profane Rituals in Gardens and Landscapes (Washington 2007)

In den Jahren 2002 und 2003 veranstaltete das Landschaftsarchitekturzentrum von Dumbarton Oaks in Washington, einem Forschungszentrum, das zur Harvard-Universität gehört, eine zweiteilige Tagungsreihe zu Ritualen und ritualähnlichen Praktiken in Gartenräumen und Landschaften.

Der vorliegende Kolloquiumsband von 2003 Lay Ritual Practises in Gardens and Landscapes konzentriert sich im Unterschied zum Vorgänger Sacred Gardens and Landscapes, der sich dem Bereich des Sakralen widmet,auf außerreligiöse und nichtetablierte Gartenritualpraktiken.

Unter dem Begriff des (Garten-)Rituals fasst der Herausgeber und Initiator Michel Conan sämtliche sozial-institutionalisierten Interaktionen zusammen, die sich im Gartenraum abspielen. Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Bedeutung dem Garten- und Landschaftsraum in Bezug auf gesellschaftliche Veränderungen beigemessen werden kann. Am Beispiel der Grande Allée in den Pariser Tuilerien demonstriert der Soziologe und Gartenhistoriker in seiner Einführung, dass Räume durch hier installierte Rituale zu „Agenten des kulturellen Wandels“ (S. 4) werden können. Anhand literarischer Quellen zeigt er, wie der im 17. und 18. Jahrhundert aktuelle Diskurs um die arkadische Hirtenidylle die Besucher der Tuilerien, die das „Ideal von Freiheit und Zivilisation verkörperten“ (S. 4), dazu verleitete, sich hier vermeintlich arkadischen Verhaltensmustern anzupassen.

Gärten als „Räume kollektiver Erfahrung“ (S. 15), so der Vorschlag Conans, könnten nicht nur bezüglich ihres Stils, sondern auch nach den in ihnen aufgeführten rituellen Praktiken eingeordnet werden. Dieser Klassifizierung folgend werden in diesem Band dreierlei Gartentypen vorgestellt: für rituelle Praktiken angelegte Gärten, Gärten, die erst im Nachhinein von unterschiedlichen Gruppen für rituelle Praktiken angeeignet wurden und Gärten, die das Produkt ritueller Praktiken sind.

Die Publikation ist in drei Abschnitte gegliedert. In Garden and Landscape Performances: Contribution to Cultural Changes zeigen fünf Essays anhand konkreter Fallbeispiele, in welchem Umfang Garten- und Landschaftsräume durch die Stiftung ritualähnlicher Praktiken Beiträge zu gesellschaftlichen Prozessen leisten; im Kapitel Achieving a Social Construction of the Self bearbeiten zwei Texte den Gartenraum als identitätsstiftenden Ort. Die letzten drei Aufsätze gehen unter der Überschrift Struggling for Political Changes der geplanten und durchgeführten Aneignung von Raum zugunsten politischer Ideen nach.

In einer kritischen Auseinandersetzung mit Gudrun Königs viel beachteter Monografie über den Spaziergang (1996) eröffnet der Kunsthistoriker Erik de Jong (Leiden, Niederlande) den ersten Teil mit seinem Beitrag Taking Fresh Air: Walking in Holland, 1600 - 1750. Anhand zahlreicher Bild- und Textquellen weist er nach, dass der Ursprung des Spaziergangs weit vor 1780 zu datieren ist und dass es sich dabei keineswegs um eine genuin bürgerliche Praktik handelt, sondern dass der Spaziergang „als eine Landschaftserfahrung für unterschiedliche Menschen funktionierte“ (S. 22). Als „ritualähnliche Handlung“ sei er geeignet, „traditionelle Gewohnheiten und Bedeutungen zu verändern und die Beziehung zur Umgebung immer wieder neu zu fassen“ (S. 22). De Jong zeigt, wie sich das urbane Subjekt im Ritual des Spazierengehens konstituiert und er kommt zu dem Schluss, dass „ohne die Erfahrung des Wanderns in der Landschaft [..] die eigene Identität als Stadtbewohner weder definiert noch verstanden werden [konnte].“ (S. 40)

Michel Conan untersucht unter dem Titel Royal Gardens, Fashionable Promenades, and Public Opinion in Seventeenth- and Eighteenth-Century die Rolle der königlichen Gärten in Paris für die Nachrichtenzirkulation. Zwischen den in den Gärten agierenden Nachrichten- und Gerüchteverbreitern – von Conan „novelists“ genannt – ihren Zuhörern und den Spionen der geheimen königlichen Polizei entwickelten sich mit der Zeit ritualähnliche Umgangsformen, die letztlich zu einem kulturellen Wandel führten, weil sich in der Gesellschaft ein „kollektiver Glauben an die Existenz einer öffentlichen Meinung“ (S. 8) herausbildete, für die die „Novellisten“ zum Symbol wurden. Conan folgert, dass „die königlichen Gärten des späten 17. und 18. Jahrhunderts eine einzigartige Rolle in dieser Entwicklung spielten, da sie die Verkörperung der öffentlichen Meinung durch die Novellisten erlaubten.“ (S. 57)

Der Kunsthistoriker Alessandro Tosi (Pisa, Italien) berichtet in Stages of Knowledge, Settings for Brotherhood: Gardens and Freemasonry in Tuscany during the First Half of the Nineteenth Century über Freimaurergärten, die als beliebte Mitgliedertreffpunkte eigens für die Ausübung ihrer rituellen Praktiken gestaltet wurden und deren ikonografische Anspielungen nur Eingeweihten verständlich waren – eine Tatsache, die eine Interpretation des Bildprogramms für Außenstehende von jeher erschwert hat. Tosi demonstriert, wie die Interpretationsangebote des Gartenraumes je nach Bespielung und Benutzung variieren konnten. Unter anderem am Beispiel eines zwischen 1821 und 1841 angelegten Gartens in Pistoia geht er dem komplexen, freimaurerischen Bedeutungsgeflecht nach. Dieser Garten bot den unterschiedlichen Wissensgraden und sozialen Gruppierungen innerhalb der Bruderschaft jeweils eigene Lesarten – philosophische, politische, pädagogische und patriotische. Diese freimaurerischen Anspielungen wurden jedoch zeitweise durch andere Bedeutungensebenen überlagert: Jedes Jahr fand ein dreitägiges öffentliches Gartenfest statt, dessen ausgeklügeltes Programm, das dem Garten einen eigenständigen Beitrag zuwies, der Erbauung und vor allem der Erziehung des Volkes im Sinne des Gastgebers dienen sollte.

Den im Gartendiskurs eher unbeachteten Küchengärten wendet sich die Historikerin Susan Warren Lanman (Denver, USA) mit Meaning and Change in the Walled Kitchen Gardens of Nineteenth-Century Britain zu. Sie untersucht die Interaktionen zwischen englischen Landbesitzern, deren Küchengärtnern und Gartenarbeitern im 19. Jahrhundert – drei Gruppen, die jeweils einen eigenen kognitiven Zugang zum Gartenraum hatten. Der Küchengarten jedoch stellte eine bedeutende Schnittstelle dar, die den sozialen Zusammenhalt der Protagonisten gewährleistete. Der Wandel von einer traditionellen Landgutbewirtschaftung hin zu einer profitorientierten Ökonomie hat – so zeigt sie außerdem – zu neuen im Garten praktizierten Interaktionsformen geführt.

Mit ihrer Einführung in die komplexe Geschichte und Entwicklung der in Japan beheimateten, jahrtausendealten Tradition der Blütenfeste gewährt die Architektin Sylvie Brosseau (Wasenda, USA) in dem Beitrag Tokyo's Modern Parks: Spaces and Practices einen Einblick in das japanische Naturverständnis. Sie führt die Langlebigkeit dieser Gartenritualpraktiken auf ihre Anpassungsfähigkeit und ihr Vermögen zurück, zwischen Tradition und modernem Leben zu vermitteln und damit kulturelle Identität zu stiften. So versammeln sich noch heute unzählige Picknickgesellschaften zur Zeit der Kirschblüte in den Parkanlagen. Diese Form der Naturbewunderung stellt für Brosseau eine Inszenierung dar, in der der Besucher sowohl Zuschauer als auch Schauspieler ist. Wenngleich der Ablauf der Festlichkeiten je nach Gruppe variiert, so ist die Gemeinschaft stiftende Funktion dieses Zeremoniells allen gemeinsam. Die Frühlingslandschaft wird zum Symbol einer Gemeinschaft, die sich im Hanami (Kirschblütenfest) erneuert und stabilisiert.

Das zweite Kapitel beginnt mit dem Aufsatz Silent Performances in Guadeloupean Dooryard Gartens: The Creolization of the Self and the Environment, in dem die Anthropologin Catherine Benoît (New London, USA) zeigt, wie kulturelle Missverständnisse lange Zeit einen inhaltlichen Zugang zu den Gärten der französischen Karibikinsel versperrt haben, da die im europäischen Raum gängigen Kategorien und Typologisierungen dort nicht anwendbar sind. Grundsätzlich bilden sowohl Garten, Hausraum als auch die nachbarschaftlichen Beziehungen und die sozialen und religiösen Praktiken der hier lebenden Menschen eine sich jeder isolierten Betrachtung verschließende Einheit. Jeder Garten wird speziell für seine Besitzer entworfen. Von der Geburt bis zum Tod ist die Existenz des Menschen an ihn gebunden, da er sein In-der-Weltsein kennzeichnet und ihm innerhalb seiner Sozialität eine Identität gewährt und garantiert: ändert sich der Status des Besitzers, so wird der Garten umgeplant. Einer eigenen Grammatik, Semantik und Rhetorik unterliegend, gibt jeder Garten den Nachbarn, Gästen und Geistern konkrete Verhaltensanweisungen, deren Dekodierung für kulturell Außenstehende allerdings nahezu unmöglich ist. Über Gartenelemente, die dem Abwehrzauber dienen, so hat Benoît herausgefunden, darf nicht einmal gesprochen werden. Daher nennt sie diese „stumme Performanzen“.

Am Beispiel des „Earl Burns Miller Japanese Garden“ auf dem Campus der California State University in Long Beach geht der Kunsthistoriker Kendall H. Brown (Long Beach, USA) in seinem Aufsatz Performing Hybridity: Wedding Rituals at Japanese-Style Gardens in Southern California der Frage nach, warum gerade in Südkalifornien Hochzeiten in japanischen Gärten beliebt geworden sind. Jenseits einer rein ästhetischen Begründung sieht er die Ursache vor allem darin, dass der exterritorialisierte japanische Garten einen Raum darstellt, an dem sich Traditionen und neue Perspektiven überlagern. Damit bietet er sich in einer multikulturellen Gesellschaft für ein bedeutendes Übergangsritual wie die Hochzeit geradezu symbolisch an. Indem der japanische Garten auf amerikanischem Boden gerade nicht traditionelle Ursprünglichkeit, sondern Hybridität repräsentiert, wird er zu einer geeigneten Bühne, auf der das Hochzeitspaar seinen Übergang zu einer neuen Identität zu zelebrieren vermag.

Im dritten Teil des Bandes führt die Historikerin Linda Walton (Portland, USA) in ihrem Beitrag Academy Landscapes and the Ritualization of Cultural Memory in China under the Mongols die Bedeutung von Landschaft zur Tradierung politischer und kultureller Ideen vor. Anhand einiger Fallbeispiele weist sie das subversive Vorgehen neokonfuzianischer Akademieschüler zur Zeit der mongolischen Fremdherrschaft im 13. Jahrhundert nach, mit dem sie das kulturelle Erbe ihrer geistigen Väter zu bewahren suchten. Die chinesische Tradition, urtümliche Landschaft als Verkörperung spiritueller Ideen und politischer Vorstellungen zu begreifen, erlaubte es den Schülern, in vermeintlich harmlosen Landschaftsdarstellungen grafischer und poetischer Form unter den Augen der Besatzer codierte Inschriften herzustellen und zu verbreiten. Diese huldigten nur scheinbar dem mongolischen Herrscherhaus – tatsächlich appellierten sie mit ihren politischen Botschaften an den Widerstandsgeist der Chinesen.

In seinem Vortrag British Naumachias: The Performance of Triumph and Memorial beschäftigt sich der Gartenhistoriker Patrick Eyres (Bradford, GB) mit der politischen Bedeutung der seit dem 18. Jahrhundert auf englischen Parkgewässern nachgestellten historischen Seeschlachten. Auf der Tagung wurde der Vortrag noch unter dem Titel A Nationalistic Ritual Performed as a Patriotic Celebration of Naval Supremacy and Empire angekündigt. Tatsächlich setzten die Seeschlachten in ritualisierter Form die Größe und Heiligkeit des Britischen Empire für die Zuschauer in Szene. Diese ritualisierte Handlung, so Eyres, erzeugte jene besondere Form von Gemeinschaft, die der Ethnologe Victor Turner in einem grundlegenden Werk als „communitas“ bezeichnet hat – eine Art offene Gesellschaft, in der es keine klaren sozialen Strukturen und Hierarchien gibt und die sich zum inneren Zusammenhalt oftmals Gemeinschaft stiftender Mythen, Symbole und Rituale bedient.

Der englische Gartendenkmalpfleger David Lambert (Bristol, GB) beschließt den Band mit dem Beitrag Rituals of Transgression in Public Parks in Britain, 1846 to the Present, der sich mit dem öffentlichen Park als einer von unterschiedlichen Interessen „umkämpften“ Zone auseinandersetzt. Die Bereitstellung von Grünanlagen diente zur Zeit der industriellen Revolution neben dem Erholungsfaktor vor allem dem Zweck, Orte sozialer und politischer Unruhe zu verhindern und durch entsprechende Planungskonzepte den öffentlichen Raum besser unter Kontrolle zu halten. Im Sinne der Obrigkeit wurden konkrete Modelle entwickelt, die für den Parkbesucher bestimmte Identifikationsangebote zur Stärkung von Patriotismus, Militarismus und Heldenverehrung bereit hielten. Diese Anstrengungen waren nicht unumstritten, sondern von Beginn an der Kritik ausgesetzt und erzeugten bei Teilen der Bevölkerung eine Widerständigkeit, die sich in ritualähnlichen Gegenpraktiken artikulierte. An vielen Beispielen demonstriert Lambert, dass die Kluft zwischen dem, was sich die Verantwortlichen bei der Schaffung, Erhaltung und Benutzung des Parks vorstellen und dem, was die unterschiedlichen Besuchergruppen bei einem Parkaufenthalt erwarten, nicht nur unvermeidbar ist, sondern dass vielmehr Verbot und Übertretung, Ritual und Gegenritual in einem dialektischen Verhältnis zueinander stehen, wobei die Regelverletzungen nur in den seltensten Fällen Ausdruck einer grundsätzlichen Missachtung der Parkanlage sind.

Conans in gewohnter Weise auf hohem Niveau verwirklichter transdisziplinärer Ansatz erweist sich auch diesmal als außerordentlich fruchtbar für den Gartendiskurs. Es gelingt es ihm, die Perspektiven unterschiedlicher Forschungsansätze sinnvoll zu bündeln und so den Blick auf die Komplexität des Gartengeschehens abseits rein ästhetischer oder pflanzentechnischer Aspekte zu öffnen. Ein reichhaltiger Fußnotenapparat ermöglicht eine weitergehende Beschäftigung. Für den Leser ohne Vorwissen stellt der Band aufgrund seiner anspruchsvollen Zusammenführung von soziologischen, ethnologischen, anthropologischen, historischen und philosophischen Perspektiven eine Herausforderung dar. Obwohl die Texte sich auch ohne die unterschiedlichen Ritualtheorien von Arnold van Gennep, Victor Turner und Catherine Bell erschließen, würden Kenntnisse davon die Lektüre erleichtern. Trotz einer gewissen Unschärfe, die die zentralen Begriffe „performance“ und „performativity“ betrifft, bietet der Band hervorragende Beispiele für die auch in anderen Disziplinen geführte Debatte um Performanz und Performativität.

Insgesamt ist dies ein empfehlenswerter Band, der die Gartenkulturwissenschaft um wichtige inhaltliche Dimensionen bereichert.

Johanna Söhnigen

Conan, Michel (ed.): Performance and Appropriation : Profane Rituals in Gardens and Landscapes. Washington : Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 2007. – 227 S. : Ill. – ISBN 0 88402 313 3. – (33,50 Euro)