Brix, Michael: Der absolute Garten : André Le Nôtre in Versailles (Stuttgart 2009)

Bücher über die Gärten von Versailles gibt es viele, die meisten sind mehr Fotobände. Als solcher könnte der vorliegende, hervorragend illustrierte Band auch gelten, wäre er nicht von dem Kunsthistoriker Michael Brix, der viele Jahre lang über die Gärten von Versailles nachgedacht und die umfangreichen dort erfolgten Veränderungen seit 1996 mitverfolgt hat.

Nach seinem 2004 erschienenen Buch über Le Nostre in Vaux-le-Vicomte legt er nun seine lang erwartete zweite Le-Nostre-Monographie vor, die nicht nur umfangreicher, sondern auch inhaltlich noch gewichtiger ist. Der deutsche Forscher begnügt sich nicht mit Bausch-und-Bogen-Essays wie „Der Garten ist ein Fest“ oder „Die unterworfene Natur“ wie Pierre-André Lablaude in seiner Monographie von 1995, sondern handelt jeden wichtigen Gartenteil für sich in seiner mit exakten Daten untermauerten Entstehungsgeschichte ab, diskutiert die Anteile der beteiligten Künstler und gibt eine Einschätzung ihrer gartengeschichtlichen Bedeutung. Nur durch eine solche systematische Vorgehensweise kann ein klares Bild der verschachtelten und bereits zur Zeit Le Nostres von Brüchen gekennzeichneten Entwicklung dieses Gesamtkunstwerks gezeichnet werden. Die kunsthistorische Diskussion anhand der Quellen und historischen Pläne in diesmal nicht wie im Vaux-Buch in den Anhang verbannt, sondern findet im Haupttext statt – ohne theorielastig zu werden -  und wird in den Fußnoten im Anhang lediglich vertieft. Wichtige Pläne werden abschließend noch einmal in chronologischer Folge abgebildet und gewürdigt. Beim historischen Bildmaterial werden auch die Planbestände in Stockholm in gebührender Weise berücksichtigt.

Brix liefert viele treffende Erkenntnisse, die sich in ihrer Einfachheit und Präzision von den üblichen Versailles-Gemeinplätzen wohltuend abheben. So wird die Ausnahmesituation des Wasserparterres deutlich, die das zu erwartende und anfangs tatsächlich vorhandene Broderieparterre ersetzte. Stilistische Entwicklungen Le Nostres zu immer größerer Klarheit und Einfachheit der Komposition werden deutlich gemacht, Differenzen, aber auch anzunehmende Kooperationen zwischen Le Nostre und Hardouin-Mansart werden nachvollziehbar. Mehrfach weist Brix auf die Breitenwirkung Le Nostresche Räume hin, die nur im Wandeln, nicht vom Dach oder aus der Luft angemessen zu erleben ist. „Dieser Magier des Raumes hat den Garten so eingerichtet, dass der Besucher ihn als einen Ort erlebt, der sich permanent wandelt, wobei sich ein eben gesehenes Bild im nächsten Moment als optische Täuschung erweist. Damit wird die Promenade durch den Garten zu einem Vorgang subjektiver Wahrnehmungen.“ (S. 99) Und es entstehen „gleichsam kinematographische Sequenzen.“ (S. 160). Um einen annähernden Eindruck von diesen Räumen zu geben, hat der Fotograf Brix stellenweise mehrere Digitalfotos zu Panoramen zusammenmontiert. Das vielen Gartenhistorikern rätselhafte Bosquet des Sources und sein Nachfolger, der Jardin des Sources am Grand Trianon, geben Brix Anlass zu dem Hinweis, dass die Darstellung wilder Natur im 17. Jh. keineswegs rigoros im Sinne einer „Naturunterjochung“ verfemt war und illustriert dies treffend mit einem Landschaftsgemälde von Sébastien Bourdon.

Um die zur Zeit zu seinem Bedauern nicht gegebene Anschaulichkeit Le Nostrescher Parterres zu vermitteln, bearbeitete Brix drei Fotos von Parterres digital, indem er die Materialien korrigierte bzw. historische Darstellungen einbaute. Dieses Verfahren empfiehlt sich durchaus zur Nachahmung. Im Detail bleibt er allerdings mit seinen Ausführungen unscharf, verwechselt die Fachtermini Rabatte und Bordüre, Parterre de compartiment und Parterre de broderie melée de massifs de gazon und weist auch nur undeutlich auf den Irrtum der massiv mit Buchs ausgepflanzten Broderien hin. Er revidiert jedoch seine Meinung im Vaux-Buch (S. 73), das Parterre du Midi sei ein Blumengarten gewesen, indem die Blumen dort erst unter Napoleon III. eingebracht wurden (S. 236, Anm. 21)

Dass Trianon, der Potager und die weitere Entwicklung von Versailles nicht vorkommen, ist aus der Themenstellung erklärlich. Fragen der Konservierung und Rekonstruktion werden nur beiläufig angeschnitten. Im Prinzip scheint Brix die großangelegten Bemühungen der letzten Jahre, Le Nostre zu rekonstruieren, als Verbesserung des Anschauungswertes zu begrüßen und kritisiert Bereiche, in denen noch kein optimierter Le-Nostre-Zustand vorzufinden ist. Nur sehr zurückhaltend deutet er das stellenweise Gewagte dieser Unternehmungen (S. 149) an. Dass diese Maßnahmen mit Einführung eines nicht geringen Eintrittsgeldes und sogar Musikbeschallungen verbunden wurden, verschweigt er vornehm. Er dürfte eigentlich bestens wissen, dass es gilt, vor einer Rekonstruktion auch die späteren Zustände zu analysieren und zu bewerten. Die weitgehende Ausklammerung der über hundertjährigen, ja beinahe permanenten Rekonstruktionsgeschichte von Versailles und ihrer Problematik ist das Einzige, dessen Fehlen in diesem gelungenen, ansprechenden und inhaltsreichen Buch zu bedauern ist.

Clemens Alexander Wimmer

Brix, Michael: Der absolute Garten : André Le Nôtre in Versailles. Stuttgart : Arnold, [2009]. - 246 S. : zahlr. Ill. -  43,95 Euro